Herbert Bolliger: Das oberste Migros-Kind

Interview: Matthias Ackeret
Bilder: Marc Wetli

Migros-Chef Herbert Bolliger ist seit 2005 im Amt. Im Herbst dieses Jahres tritt er zurück. Der 63-jährige Aargauer zieht Bilanz, erzählt von seiner Begegnung mit Bruce Springsteen und lanciert einen spektakulären Vorschlag, wie man die Folgen des Einkaufstourismus bekämpfen könnte.

Herr Bolliger, wann realisierten Sie erstmals, dass Sie ein Migros-Kind sind?
Vor dreissig Jahren, als ich bei der Migros zu arbeiten begann. Damals lernte ich die Grundwerte der Migros besser kennen. Von meiner Mutter wusste ich, dass mein Grossvater, der in einer Fabrik arbeitete, ein Dutti-Fan gewesen sei, weil Dutti sich sehr für die Anliegen der Schwachen eingesetzt habe.

Inwieweit spielt Duttweiler in der heutigen Migros noch eine Rolle?
Er hat immer wieder von der Verantwortung gesprochen, die ein Unternehmer gegenüber der Gesellschaft habe. Er war der Ansicht, dass man sich freiwillig für Notleidende und überhaupt für gesamtgesellschaftliche Verbesserungen engagieren müsse, sobald man die ersten unternehmerischen Erfolge erzielt habe. Durch diese Freiwilligkeit wollte er auch eine Lawine zusätzlicher Gesetze verhindern. Dieses Credo gilt heute noch. Deshalb haben wir uns freiwillig eine anspruchsvolle Nachhaltigkeitsstrategie auferlegt, ohne dass der Gesetzgeber uns dazu zwingt. Das Gleiche gilt auch fürs Kulturprozent. Es ist weltweit einzigartig, dass ein Unternehmen ein Prozent seines Umsatzes in soziale und kulturelle Projekte investiert. Das ist in unseren Statuten verankert. Dazu sind wir verpflichtet, selbst dann, wenn wir ein schlechtes Geschäftsjahr hätten und Verluste schreiben müssten. Duttweiler war ein risikofreudiger Unternehmer, ein richtiger Kaufmann, der zwar jeden Rappen wohlüberlegt ausgab, den Anliegen der gesamten Bevölkerung aber genau den gleichen Stellenwert einräumte. Grossartig!

Aber haben Sie nie geflucht, weil dadurch der Gewinn geschmälert wird?
Überhaupt nicht. Wenn jemand das Kulturprozent schlecht findet, sollte er nicht in der Migros arbeiten, denn es ist Teil einer Haltung, einer Weltanschauung. Die Migros muss konkurrenzfähig und somit äusserst effizient sein, sie ist aber kein gewinnmaximierendes Unternehmen. Unser starker Fokus auf die Kunden und die Allgemeinheit hängt mit Duttweilers grossartiger Vision zusammen.