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Ludwig Hasler: Vom Luxus, Bundesräte mal plaudern zu lassen

Ludwig Hasler ist Publizist und Philosoph.

Seit ich zum Essen mit Bundesrat geladen war, wünsche ich das allen. Nicht weil Magistraten dabei zwingend sympathischer werden, doch das Regieren wird sogleich plastischer, wenn sie ungehemmt ins Plaudern kommen.

Nun lese ich, Bundesräte wollten sich «nicht grillieren» lassen. Sollten sie? Na ja, Schweizer Fernsehen SRF möchte künftig während Parlaments-Sessionen ein «Rundschau-Spezial» ausstrahlen und unbedingt einen Bundesrat in der Runde haben. Nur spüren Bundesräte grad wenig Lust dazu. Irgendwie haben sie die Nase voll von «heissem Stuhl» und journalistischem «Kreuzverhör». Heisst das, sie sind kritikimmun geworden – oder sie glauben nicht mehr daran, dass die Verhörmethode etwas Schlaues bewirkt, so etwas wie Einblicke oder auch nur ein Stück Vertrauen, das angeblich ruiniert ist?

Sollen Journalisten denn nicht verhören? Manchmal schon. Sie sind Agenten im Projekt Aufklärung, das mit der Parole «Vernunft an die Macht!» gestartet war. Vernunft kommt von «vernehmen», im juristischen Sinn: vernehmen, wie der Untersuchungsrichter vernimmt, mögliche Täter, Opfer, Zeugen gründlich abklopfen, zur Rechtfertigung nötigen, damit die Spielzüge luzid werden, die Akteure durchschaut, die Beweggründe geklärt. Also ausleuchten, penetrant nachfragen, mit Fakten konfrontieren, unbedingt. Aber immerzu? In jedem Fall? Das Verhör als Universalmethode? Oder nur im Verdachtsfall? Und in andern Fällen auch mal plaudern lassen?

Die Realität der Bundesratswelt sieht aus wie unser aller Leben: 97 Prozent Üblichkeiten, nur etwas hektischer. Pragmatische Knochenarbeit. Trial and Error. Unter irdischen Bedingungen ist jeder Deal durchzogen. Beispiel Handelsverträge mit China. Natürlich finden wir auch da schon früh ein paar Unausgeglichenheiten, Unzufriedene immer, Bauern sind gegen jeden Freihandelsvertrag. Also können wir den Bundesrat auf den heissen Stuhl setzen: Geben Sie zu, dass unsere Bauern Verlierer sein werden? Sie paktieren also mit der Pharmabranche – gegen die Bauern?! Oder umgekehrt.

Was bringt das? Der Realitätssinn verdunstet, das nervöse Meinungsgezappel übernimmt. Das Verständnis für die Normalität menschlich-allzumenschlicher Zwiespältigkeiten schwindet, das Nachdenken darüber findet kaum Spielraum. Dafür erstarkt ein weltfremder Platonismus, eine Reinheitssehnsucht, ein Eindeutigkeitsverlangen, diese unirdische Vorstellung, Unebenheiten und Ungereimtheiten seien einzig die Folge falsch oder fahrlässig handelnder Eliten. Mit den notorischen Nebenwirkungen: Frust, Wut, Pöbelkultur.

Warum lässt man einen Bundesrat nicht einfach mal erzählen? Über unvermeidbar reale und banale Klippen und Fallen beim Aushandeln eines Handelsvertrages. Nicht weil auch Bundesräte Anspruch auf kritikfreien Raum haben sollten, sondern weil – jenseits der Festnagelungs-Rhetorik – die Sache sogleich bunter, dramatischer wird, realistischer. Die Grammatik des Verdachts macht den Befragten vorsichtig; wer verhört wird, gibt nicht mehr preis als unbedingt nötig. Dagegen wirkt die Grammatik des Gesprächs verführerisch, sie «stellt» den Befragten nicht, sie interessiert sich für ihn und holt eben darum ungleich mehr aus ihm und seiner Sache heraus. Denn wo das lebhafte Interesse lenkt, da entschlüpft das Gespräch der Kontrolle – und die Geschichten springen übermütig von selbst heraus.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.